Selbermacher
Die Firma UHL feiert achtzigsten Geburtstag, ihr Chef den Fünfundsiebzigsten. Zwei Jubiläen, die Walter Uhl zwar stolz machen, aber nicht überschwänglich. Dennoch hat er in den vergangenen Jahrzehnten ein ebenso stabiles wie erfolgreiches Unternehmen geformt.
An einem Dienstagmorgen begrüßt uns Juniorchef Malte Bernard an der Tür. Walter Uhl sitzt bereits im Showroom. Er habe ein neues Knie, entschuldigt er sich. Er wirkt ruhig und besonnen, aber im Innern rumort die Ungeduld angesichts der aus seiner Sicht viel zu langwierigen Rehabilitation. Wenn es nur um einen feinmechanischen Eingriff gegangen wäre, hätte er sich vermutlich selbst operiert. Ein „Selbermacher“, das wird im Laufe unseres Gesprächs deutlich, war er jedenfalls schon immer.
Wenn Walter Uhl und sein Juniorchef Malte Bernard den Zeitstrahl aufklappen, der 1943 beginnt und bis in die Gegenwart reicht, dann wirkt jede Entwicklung logisch, jede Entscheidung folgerichtig. Die Meilensteine reihen sich aneinander. Was sich in den vergangenen 80 Jahren zugetragen hat, erfährt man jedoch am besten, wenn Walter Uhl ins Erzählen kommt: „Mein Vater hatte in einer sicher nicht einfachen Zeit den Mut, eine Zukunft auf eigenen Beinen aufzubauen“, sagt er. In den „feinmechanisch optischen Werkstätten“ wurden Objektive, Okulare und Triebkästen für Mikroskope gefertigt. Bereits 1948 präsentierte Oskar Uhl am Stand des Landesinnungsverbands Hessen seine Produkte auf der Hannover Messe. In den 1950er-Jahren richtet er seine Werkstätte im Mühlweg am Dillufer von Aßlar ein. 1958 erscheint der 10-jährige Walter erstmals im Bild: Strahlend sitzt er auf einer von mehreren Transportkisten, in denen UHL eine Großserie von Mikroskopen für die UNESCO verschifft hat.
Walter Uhl setzt auf die Zukunft und investiert in moderne NC-Maschinen
Walter Uhl macht eine Lehre und entscheidet sich für ein Studium in Darmstadt. „Ich habe dort mit meiner späteren Frau zusammengewohnt. Im Schlafzimmer hatte ich ein Zeichenbrett. Dort habe ich mein erstes Patent für die Spinndüsenprüfung entwickelt“, erzählt Walter Uhl. Auf dieser Grundlage bringt UHL das Spinndüsenprüfmikroskop „PROMIK“ auf den Markt, das in der damals boomenden Textilindustrie neue Maßstäbe setzt. Während Walter Uhls Enthusiasmus gerade Fahrt aufnimmt, spielt sein Vater mit dem Gedanken, die Firma zu verkaufen: „Das konnte und wollte ich nicht zulassen“, so Herr Uhl rückblickend. „Ich habe also nach dem Vordiplom mein Studium abgebrochen und 1978 die Firma übernommen.“
Die Übernahme des Betriebs kommt eher einer Neugründung gleich, erinnert sich Walter Uhl: „Mein Vater hat insbesondere in der feinmechanischen Bearbeitung auf konventionelle Technik gesetzt. Ich war der Überzeugung, dass man damit perspektivisch nicht weiterkommt.“ Der Jungunternehmer beantragt ein Darlehen über 300.000 DM. „Andere Leute in meinem Alter hätten sich für das Geld ein Haus gebaut – ich habe mir zwei Maschinen gekauft“, schmunzelt Walter Uhl. Gut angelegt und wegweisend ist die Investition allemal, denn es handelt sich dabei tatsächlich um die ersten NC-Maschinen, die es damals auf dem Markt gibt. Um der Zeit voraus sein zu können, braucht es zudem Mitarbeiter, die mitziehen. Die beiden ersten Lehrlinge und heute noch im Betrieb tätigen Mitarbeiter, die der junge Chef einstellt, heißen Andreas Neumann (1980) und Dirk Stauß (1982).
Firmengründer Oskar Uhl in seiner feinmechanisch optischen Werkstätte (oben links). Darunter der junge Walter Uhl (rechts) auf einem Foto von 1958. Schon früh setzt UHL auf modernste Fertigung mit NC-Maschinen (Mitte). 1985 errichtet UHL das Gebäude in der Loherstraße 7, bis heute Sitz der Firma (rechtes Bild).
Modulares Baukastensystem und digitale Technologien
Die optische und feinmechanische Industrie in der Region schaut verwundert, was da in Aßlar passiert. Experten aus anderen Unternehmen begutachten die neuen NC-Maschinen. Die Kunden wiederum profitieren ganz unmittelbar davon, denn sie bekommen bei UHL industrielle Messtechnik auf höchstem Niveau, und zwar zuverlässig, schnell und effizient. Hinzu kommt, dass Walter Uhl ein modulares Baukastensystem optisch-feinmechanischer Komponenten entwickelt, das er mit seinem Team kontinuierlich erweitert. Damit können sowohl Standardprodukte als auch Sonderlösungen nach individuellen Kundenwünschen realisiert werden. Auch die Entwicklung und Programmierung der für spezifische Messaufgaben notwenigen Software erfolgt im Haus. Bei der Fertigung setzt Walter Uhl ebenfalls auf die Digitalisierung, die Mitte der 1990er-Jahre noch in den Kinderschuhen steckt: 1995 wird das erste CNC-Bearbeitungszentrum mit Roboter für Teilezuführung aufgebaut und in Betrieb genommen.
Dass Leica Microsystems immer wieder auf ihn zukommt, weil man Produkte und Produktbereiche, die aus strategischen Gründen veräußert werden sollen, bei Walter Uhl in besten Händen weiß, kommt fast einer Art Ritterschlag gleich. So übernimmt UHL 1997 den Fluchtlinienprüfer von Leitz Messtechnik Wetzlar; es folgt im Jahr 2000 die Übernahme des Bereichs Messmikroskopie der Firma Leica Microsystems (VMM) und wiederum fünf Jahre später der Produktreihe Mikrohärteprüfer von Leica Microsystems (VMHT). „Die damit verbundenen Investitionen waren enorm, aber der Umsatz, den wir mit dieser einzigartigen Produktpalette in der industriellen Messtechnik erzielen konnten, hat selbst unsere optimistischsten Erwartungen in den Schatten gestellt“, sagt Walter Uhl. „Schon bald hatten wir 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Das Geheimnis des Erfolgs
Erstaunlich ist, dass sich das Unternehmen von dieser Entwicklung nicht überrollen ließ. Stattdessen hat man sich auf seine ureigenen Qualitäten verlassen: herausragende technische Kompetenz, hochqualifizierte Mitarbeiter und eine Fertigungstiefe von über 90 Prozent, um sich von nichts und niemandem abhängig zu machen. Walter Uhl führt seine Firma besonnen, ist innovativ und legt Wert darauf, so weit wie möglich autark zu sein. Komponenten werden in modernster CNC-Technologie mit 5-Seitenbearbeitung gefertigt. Robotersysteme ermöglichen die Bearbeitung von bis zu 50 verschiedenen Teilen gleichzeitig auf einer Maschine. Alle Mitarbeiter haben ihr Handwerk gelernt und sich die höchst anspruchsvollen Fertigkeiten erarbeitet, auf die ein spezialisierter mittelständischer Betrieb wie UHL angewiesen ist. „Unsere Leute arbeiten eigenverantwortlich und sind so umfassend ausgebildet, dass sie alle Tätigkeiten beherrschen, um Komponenten, Baugruppen und Geräte nach Stückliste und Zeichnung zusammenzubauen“, betont Walter Uhl.
Um diese Kompetenzen auch den jungen Nachwuchskräften zu vermitteln, hat Walter Uhl 2007 in der ehemaligen Werkshalle des väterlichen Betriebs eine Lehrwerkstatt eingerichtet und seitdem über 40 Auszubildende zum Feinwerkmechaniker begleitet. Dort lernen die Lehrlinge das feinmechanische Handwerk, aber auch den Umgang mit Konstruktionszeichnungen und entsprechenden Softwareprogrammen. Da viele Unternehmen nicht mehr in der Lage sind auszubilden, werden in der Lehrwerkstatt auch externe Lehrlinge aus anderen regional ansässigen Betrieben zum Feinwerkmechaniker, Fachrichtung Feinmechanik, ausgebildet.
„Wir waren die ersten, die mit modernen NC- und CNC-Maschinen gearbeitet haben. Trotzdem sind wir in gewisser Weise ein Handwerksbetrieb geblieben. Vielleicht ist das ja das Geheimnis unseres Erfolgs“, sagt Walter Uhl. Und der Erfolg gibt ihm recht.
Malte Bernhard führt das Familienunternehmen in die Zukunft
Dass die Firma UHL dieses Erfolgsgeheimnis bewahren und genauso erfolgreich in die Zukunft führen wird, daran hat Malte Bernard einen maßgeblichen Anteil. Im Anschluss an seine Ausbildung zum Industriekaufmann bei Leica Microsystems kam er 2011 zu UHL, als erster StudiumPlus Student im Betrieb. „Das ‚Plus‘ beschreibt in meinem Fall eher das Studieren als die betriebliche Praxis, denn im Grunde genommen habe ich hier schon während des Studiums Vollzeit gearbeitet“, erinnert sich Malte Bernard. Nach seinem Abschluss kümmerte er sich als Angestellter um die kaufmännischen und unternehmerischen Belange, seit 2016 als Mitglied der Geschäftsführung. Inzwischen hält er 80 Prozent am Unternehmen. Auch die Funktion des Obermeisters in der Feinmechaniker-Innung des Lahn-Dill Kreises hat er von Walter Uhl übernommen.
Weit davon entfernt, nur die kaufmännische Seite des Unternehmertums zu kennen, hat sich Malte Bernard über die Jahre die notwendigen fachlichen Spezifikationen und Varianten der industriellen Messtechnik angeeignet. Die breite Produktpalette von UHL kennt er in- und auswendig. Daneben hat man den Eindruck, als sei Malte Bernard selbst Teil der Familie – und liegt damit sicher nicht ganz falsch. Zumindest scheint er die Werte, für die das Unternehmen seit 80 Jahren steht, verinnerlicht zu haben und weiterhin umzusetzen: Innovativ, besonnen und so weit wie möglich unabhängig zu sein, ist auch ihm ein zentrales Anliegen. Beste Perspektiven also, dass die Firma UHL ihre Erfolgsgeschichte mindestens bis zum hundertsten Jubiläum und darüber hinaus fortschreiben wird.
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